Presseinformation 41/2024
Die deutsche Wirtschaft steht vor einem Kipppunkt – die Antworten der Wirtschaftspolitik gehen am Problem vorbei
die zunehmenden Probleme der deutschen Wirtschaft, auch und insbesondere in Kern- und bisherigen Erfolgsbranchen, haben ein bedrohliches und existenzielles Ausmaß angenommen. Die Deindustrialisierung ist von einem schleichenden zu einem sich beschleunigenden Prozess geworden. Die nun einsetzenden Diskussionen und Vorschläge aber sind aktionistisch und interventionistisch. Sie übersehen, dass die Probleme und Herausforderungen viel größer sind. Die deutsche Industrie leidet an fünf grundsätzlichen Problemen:
- Deutschland ist nicht mehr der Ort, an dem neue industrielle Lösungen skalieren können. Die Wachstumsbedingungen sind aufgrund der limitierten Verfügbarkeit an Fachkräften, Kapital und Infrastruktur zunehmend schlecht. Deutschland ist im Weltmaßstab eine kleine Volkswirtschaft geworden.
- Deutschland ist nicht der Ort, an dem sich die Transformation technologisch entscheidet. Transformation entscheidet sich nicht durch inkrementelle Innovationen von Produkten und Prozessen, sondern zwischen Technologiepfaden. In den eher disruptiven Marktprozessen kommt es notwendig zu größeren Unternehmenspleiten. Das unternehmerische Risiko steigt dadurch erheblich. Dem steht in Deutschland kein ausreichendes Angebot an Risikokapital gegenüber. Transformation ist kein regulatorischer, sondern vor allem ein unternehmerischer Prozess.
- Deutschland leidet besonders unter der Fragmentierung der Weltwirtschaft in Verbindung mit dem Verlust an industrieller Standardsetzung. Beschaffungs- und Absatzmärkte unterliegen zunehmend politischen Einflüssen. Mit anderen Worten: Das „Geschäftsmodell“ des deutschen industriellen Mittelstands ist bedroht.
- Deutschland verliert traditionelle Spezialisierungsvorteile und komparative Kostenvorteile. Insbesondere China ist in vielen industriellen Wertschöpfungsketten durch eine höhere Wertschöpfungstiefe technologisch und qualifikatorisch aufgestiegen und vom Zulieferer zum intraindustriellen Konkurrenten geworden. Deutschland hat bislang keine Antwort auf die Frage gegeben, wo man in Zukunft selbst Industrie- und Technologieführerschaft anstrebt.
- Deutschland „tickt“ analog, nicht digital. Die Digitalisierung scheitert daran, dass sie „industriell“ gemanagt wird, das heißt, von den Prozessen her, aber nicht von den neu entstehenden Märkten. Dadurch verharrt die deutsche Wirtschaft in alten, aber gerade zerfallenden Märkten, statt selbst Zukunftsmärkte aufzubauen.
Diese fünf Probleme der deutschen (und europäischen) Wirtschaft sind strukturell und wirtschaftskulturell bedingt. Die angesichts der Abwanderung und des Stellenabbaus deutscher Unternehmen nun geforderten Subventionen und Staatshilfen sind daher nicht geeignet, die Wirtschaft durch diese sehr kritische Phase zu helfen. Dies kann nur dann gelingen, wenn die Politik erkennt, dass sich die Ökonomie durch die Veränderungen der Transformation und der Geoökonomie in ihren Strukturen, Risiken und Mentalitäten grundsätzlich wandelt. Es handelt sich um ein ordnungsökonomisches Problem. Bislang hat die deutsche Wirtschaft von den Bedingungen offener globaler Märkte und inkrementeller industrieller Innovation profitiert. Diese Zeit ist vorbei. Und deshalb ist es Zeit zu handeln. Die strukturellen Veränderungen betreffen den Kern der deutschen Wirtschaft; die Antworten müssen daher tiefer an den Ursachen der wirtschaftlichen Schwäche ansetzen, als die Politik es bislang getan hat. Die Weichen von Stagnation und Subvention auf Wachstum und Risiko zu stellen, wäre ein erster bedeutender Schritt.