Innovation
EIB-Vizepräsidentin Nicola Beer im Interview: „Technologische Innovation ist der Motor Europas“
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cep-Kommunikationschef Jörg Köpke: Frau Beer, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will Investitionen in Wirtschaft, Infrastruktur und Innovation absolute Priorität einräumen. Der Draghi-Bericht spricht von einem jährlichen Investitionsbedarf in Höhe von 800 Milliarden Euro, damit Europa im globalen Wettbewerb nicht abgehängt wird. Welche Rolle kommt dabei der Europäischen Investitionsbank (EIB) zu?
EIB-Vizepräsidentin Nicola Beer: Der Draghi-Bericht hat ein klares und ehrgeiziges Ziel: Europas Wettbewerbsfähigkeit in einer zunehmend digitalisierten und nachhaltigeren Welt sicherzustellen. Die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit unserer europäischen Industrie durch technologische Innovation hat für die EIB oberste Priorität. Dies umfasst den Übergang zu einer umweltgerechten Wirtschaft, die Stärkung der digitalen Infrastruktur sowie Innovationen in Schlüsselindustrien. Ein wesentliches Anliegen ist uns, Investitionen zu fördern, die private Kapitalgeber noch als zu risikoreich ansehen. Wir bieten eine Brücke zwischen zukunftsweisenden Ideen und der notwendigen Finanzierung, um diese in marktfähige Produkte und Dienstleistungen umzuwandeln. So können wir dazu beitragen, Europas Innovationsführerschaft zu sichern, die Resilienz der europäischen Wirtschaft zu stärken und gleichzeitig den sozialen und ökologischen Wandel voranzutreiben.
Wie können wir gemeinsam das Potenzial von Ideen nutzen, wie können wir Innovationen in konkrete Produkte und Dienste umsetzen, Unternehmen wachsen lassen, Leben zu verbessern, Arbeitsplätze zu schaffen und Europa und die Welt zu einem nachhaltigeren Wachstumsmodell führen?
Technologische Innovation ist der Motor, der Europas Wettbewerbsfähigkeit langfristig sichert. Die EIB investiert in Projekte, die genau diese Innovationskraft stärken. Ein Beispiel dafür ist unsere Unterstützung für Start-ups und Technologieunternehmen, die in Schlüsselbereichen wie Bioökonomie, Dekarbonisierung, erneuerbaren Energien und künstlicher Intelligenz tätig sind. Ein Beispiel ist unsere Förderung des Start-ups Sunfire in Dresden, das eine bahnbrechende Elektrolyseur-Technologie entwickelt hat. Diese reduziert den Energieverbrauch bei der Wasserstoffproduktion um bis zu 30 Prozent. Ebenso investieren wir in Batterie-Gigafabriken, grünen Stahl und den Aufbau einer nachhaltigen Wasserstoffwirtschaft. Zukunftstechnologien wie die Kernfusion sollten ebenfalls stärker in den Fokus rücken. Europa hat hier das Potenzial, eine Vorreiterrolle einzunehmen. Für mich ist es entscheidend, gezielt in transformative Technologien zu investieren, die Europas industrielle Basis auf die nächste Stufe heben. Wir brauchen einen New Industrial Deal, der sowohl die technologische als auch die ökologische Transformation Europas vorantreibt.
Können Sie uns ein Beispiel nennen, was die EIB für den Alltag der rund 450 Millionen Einwohner der EU bewirken kann?
Ein zentrales Thema der EIB ist der Klimaschutz. Unsere Investitionen in erneuerbare Energien, wie etwa Offshore-Windparks, stärken nicht nur die Unabhängigkeit Europas von fossilen Energieträgern, sondern schaffen auch Arbeitsplätze und tragen zur Dekarbonisierung bei. Zwischen 2010 und 2023 haben wir etwa Darlehen in Höhe von 9,5 Milliarden Euro für 28 Offshore-Windparks in der Nord- und Ostsee bereitgestellt. Zusammen mit privaten Investoren wurden so Investitionen in Höhe von 41 Milliarden Euro mobilisiert. Diese Parks versorgen über 13 Millionen Haushalte mit sauberer Energie und haben Tausende von Arbeitsplätzen geschaffen. Aber es geht nicht nur um große Energieprojekte. Die EIB finanziert auch Projekte für bezahlbares, nachhaltiges Wohnen oder den öffentlichen Verkehr, etwa moderne S-Bahnen und Elektrobusse, die den Fahrkomfort erhöhen und zur Verbesserung der Luftqualität beitragen.
Welche Prioritäten wollen Sie persönlich setzen?
Eine meiner Prioritäten ist die Sicherung des Zugangs zu kritischen Rohstoffen. Ohne diese Materialien – von seltenen Erden bis hin zu Lithium – können wir weder die Energiewende noch die digitale Transformation erfolgreich vorantreiben. Der kürzlich verabschiedete Critical Raw Materials Act stellt einen wichtigen Meilenstein dar. Er zielt nicht nur darauf ab, Abhängigkeiten von einzelnen Lieferantenländern zu verringern, sondern eröffnet auch Chancen für neue, partnerschaftliche Allianzen – beispielsweise mit Ländern in Afrika. Im Mittelpunkt steht die Schaffung lokaler Wertschöpfungsketten, die den Menschen vor Ort zugutekommen, Arbeitsplätze schaffen und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung fördern. Die EIB wird mit einer gezielten Rohstoffstrategie dazu beitragen, Rohstoff-Projekte in und außerhalb der EU zu finanzieren und gleichzeitig die nachhaltige Nutzung dieser Ressourcen sicherzustellen.
Wo sehen Sie den größten Investitionsbedarf?
Die Transformation des Energiesektors bleibt eine der größten Herausforderungen. Hier sind weiterhin massive Investitionen nötig, um den Umstieg auf erneuerbare und bezahlbare Energien zu ermöglichen. Auch die Dekarbonisierung energieintensiver Industrien, wie Stahl und Chemie, muss vorangetrieben werden. Gleichzeitig wird Künstliche Intelligenz eine immer größere Rolle spielen, um die Effizienz von Produktionsprozessen zu steigern und Innovationen zu fördern. Europa darf hier nicht zurückfallen – es braucht massive Investitionen in Forschung, Infrastruktur und Start-ups, die diese Technologien entwickeln und anwenden.
Die EIB hat kürzlich dem Autozulieferer ZF Friedrichshafen eine Finanzierung von 425 Millionen Euro zugesagt. Wie bedeutend ist die kriselnde Automobilbranche künftig noch für die wirtschaftliche Entwicklung der EU?
Dieser Förderkredit wird in die Entwicklung von Technologien für innovative Brems- und Lenksysteme fließen, die dem Unternehmen helfen werden, den Übergang zum automatisierten Fahren zu meistern und wettbewerbsfähig zu bleiben. Projekte wie dieses führen dazu, dass die Automobilbranche auch künftig als Innovationstreiber eine führende Rolle in der wirtschaftlichen Entwicklung der EU spielt. Wir sollten die Fähigkeit der Hersteller, Zulieferer und der gesamten Wertschöpfungskette, neue Lösungen zu finden und marktfähig zu machen, nicht unterschätzen, auch wenn sie aktuell Herausforderungen wie einer schwächelnden Nachfrage nach Elektroautos ausgesetzt sind. Die Schwierigkeiten in diesem Bereich zeigen zum einen, wie wichtig es ist, langfristige Planbarkeit durch den regulatorischen Rahmen zu haben. Und andererseits ist es essenziell, dass wir technologieoffen sind, etwa im Hinblick auf Kraftstoffe wie e-Fuels.
Sie wollen sechs Milliarden Euro für den Bereich Sicherheit und Verteidigung ausgeben. Wozu genau soll dieses Geld verwendet werden?
Wir müssen Europas Sicherheits- und Verteidigungsindustrie und damit unsere Souveränität stärken. Das braucht Investitionen auf nationaler und europäischer Ebene. Daher stellen wir als EIB mit unserem Aktionsplan nicht nur sechs Milliarden Euro für Finanzierungen in diesem Bereich zur Verfügung, sondern haben zudem die Definition von Dual-Use erweitert sowie den Zugang von KMU und Mid-Caps, die in diesem Sektor tätig sind, zu unseren Finanzierungen erleichtert. Drohnen, Steuerungssysteme, Satelliten und Cybersecurity-Technologien können nun einfacher gefördert werden.
Wie kann die EU in den umkämpften Märkten der Digitalisierung, Stichwort KI, im globalen Wettbewerb aufholen? Und was kann die EIB für diesen wichtigen Sektor leisten?
Die EU ist in vielen Bereichen bei der Digitalisierung schon vorne mit dabei. Hier ist das Bild nicht immer so schlecht, wie es teilweise gezeichnet wird. Zum Beispiel setzen 70 Prozent der EU-Firmen laut einer EIB Investitionsumfrage fortschrittliche Digitaltechnologien ein, in Deutschland vor allem im Maschinenbau, der Robotik und bei Plattformtechnologien. Aber natürlich müssen wir noch bessere Rahmenbedingungen schaffen, um Investitionen in diesen Bereich zu erhöhen. Dies kann nur gelingen, wenn wir privates Kapital mobilisieren. Die EIB Gruppe versteht sich als crowding-in Werkzeug und unterstützt innovative Unternehmen, wie im Bereich KI, entlang des gesamten Wachstumszyklus. Wir finanzieren und investieren in Innovationen von der seed phase, über die scale-up Phase bis zu marktreifen Großunternehmen mit verschiedenen Produkten von VC Fonds, über Venture Debt zu Kreditlinien und Garantien.
Die Kommission will risikoabsorbierende Maßnahmen vorschlagen, damit Geschäftsbanken, Investoren und Risikokapitalgeber schnell wachsende Unternehmen leichter finanzieren können. Sehen Sie bei diesen Maßnahmen eine Aufgabe für die EIB?
Wir unterstützen die Pläne der EU-Kommission und der EUMitgliedstaaten, eine vertiefte Kapitalmarktunion in Europa zu schaffen und diese zu einer Spar-und Investitionsunion auszubauen. Dies hilft, privates Kapital, das zu einem großen Teil auf risikoarmen Sparbüchern schlummert, für europäische Projekte zu mobilisieren. Auch Enrico Lettas Vorschlag einer Deep Tech Stock Exchange ist interessant, um es Investoren einfacher zu machen, in europäische start- und scale-ups in diesem so wichtigen Bereich zu investieren. Wie so oft gibt es bei diesem Thema in Europa noch großes Potential, das gehoben werden muss, wenn wir im internationalen Vergleich wettbewerbsfähig bleiben wollen.